Sehr geehrter Herr Carl Bossard
In einem Punkt gebe ich ihnen recht-es sind in der Zwischenzeit eine unüberschaubare Fülle an Aufgaben, die die Primarschule und somit ihre Lehrer*innen mit ihren Schüler*innen abdecken sollte: Angefangen bei der Zahnhygiene, über gesunde Ernährung zu Gewaltprävention, Sozialtraining und dem ganzen Strauss an traditionellen und neu dazugekommenen Schulfächern wie Fremdsprachen und der Integration von ITC.
Daraus zu schliessen, dass die mangelnde Sprachfähigkeit aufgrund zu kurzer Übungszeiten zu Stande kommt, dünkt mich dennoch zu kurz gegriffen. Ebenfalls widerspreche ich ihnen ganz klar bezüglich des Konzept desLehrmittels "Lesen durch schreiben", das nur in der 1. Klasse, so wie von ihnen beschrieben, angewandt wird: Es ist richtig, dass ein 1.Klass-Kind bis Ende der 1. Klasse lauttreu schreiben darf. Starke Kinder werden selbstverständlich auch schon in der 1. Klasse auf Orthografie hingewiesen, die dann im Verlaufe des zweiten und dritten Schuljahres Schritt für Schritt aufgebaut und auch geübt wird. Bestimmt sind sie mit mir einig, dass es keinen SInn macht, einem Schreibanfänger, jeden Schreibfehler rot zu markieren, das wäre für den Schreiblernprozess extrem demotivierend. Viel wichtiger ist es in einem ersten Schritt, dass die Kinder ein Wort korrekt durchlautieren können, dh. die einzelnen Laute, so wie sie tönen, korrekt benennen und verschriftlichen können.Es ist schlicht und einfach eine Falschaussage, dass Kinder bis zur 3. Klasse lauttreu schreiben dürfen, dies wird in der Praxis nicht so gehandhabt. Ebenfalls ist "Schreioben nach Gehör" keine Lehrmethode, wie von ihnen beschrieben, sondern im Schreibprozess die erste Stufe, die, wie oben beschrieben bis Ende 1. Klasse zulässig ist.
Eine Konzentration der Grundschule auf Deutsch und Mathematik, so wie sie die deutsche Kultusministerkonferenz vorsieht, soll wohl Mittelschulkonforme Schülerinnen und Schüler "produzieren"? Bitte entschuldigen sie die poentierte Schreibweise. Dabei geht aus meiner Sicht vergessen, dass die Schule einen ganzheitlichen Auftrag verfolgt, nämlich die Kinder in einem breiten Fächerspektrum, das auch Kopf-, Herz- und Handfächer wie Natur, Mensch und Gesellschaft, oder textiles Werken, Zeichnen und Musik, zu unterrichten und sie dabei ganzheitlich zu fördern in ihrer Selbst-, Sozial-, und Fachkompetenz.
Wichtiger als den Fokus auf Mathe und Deutsch zu legen finde ich, Eltern auf die Wichtigkeit ihrer frühkindliche Sprachbegleitung im Elternhaus aufmerksam zu machen. Da sträuben sich mir manchmal die Haare, wenn ich junge Mütter mit ihren Handys vor der Nase beobachte, die einen Kinderwagen vor sich herstossen, ohne mit ihrem Kinder in Augen- und Sprachkontakt zu sein. Die zu Hause ihr Kleinkind vor den Fernseher setzen, anstelle ihm ein Bilderbuch zu erzählen und am gemeinsamen Mittagstisch, dem extrem vielseitigen Übungsfeld für mündlichen Sprachgebrauch, nur dürftig kommunizieren. Die mündliche Ausdrucksfähigkeit mit dem dazugehörenden, korrekten Satzbau, der Aussprache und dem Wortschatz kommt vor der Schriftlichkeit. Hier müssen wir mit vereinten Kräften die Relevanz der Sprache in den Kokus rücken!
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