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Sie sind 22 und 23 Jahre alt.  Sie heissen Selam und Aster*). Seit zwei Jahren und acht Monaten leben sie in der Schweiz. Ihre Zimmer in der Asylunterkunft liegen nebeneinander, manchmal kochen sie zusammen. Sie verstehen sich gut. Ohne voneinander zu wissen, haben beide ihre Heimat verlassen. Die Ältere der beiden flieht 2013 aus Eritrea, die Jüngere 2015. Sie wollen der SAWA, dem Militärdienst mit unbestimmter Dauer und dem diktatorischen System entgehen, sie suchen in Europa ein Leben mit anderen Perspektiven. Die Odyssee durch den Sudan und durch Libyen dauert bei Aster vier Jahre, bei Selam zwei. Nach der Überfahrt über das Mittelmeer erreichen beide Italien. Die Menschen, die sie auf der langen Reise kennenlernen, werden Belgien und Deutschland zugewiesen – sie selber kommen in die Schweiz. 

Nach dem Aufnahmeverfahren werden Selam und Aster dem Kanton Zürich zugeteilt. Seit 2017 leben sie in einer Asylunterkunft im Zürcher Oberland. Zum Asylverfahren gehört das gefürchtete dreistündige zweite Interview. Es findet für beide im Herbst 2017 in Bern statt. Dann heisst es zwei lange Jahre lang warten, warten... 

Mit 450 Franken im Monat. Kleider kaufen bei Caritas. Das Handy ermöglicht die Verbindung via WhatsApp zur Familie in Eritrea und zu den Landsleuten in Europa. Selam und Aster besuchen dreimal in der Woche Deutschkurse an der Autonomen Schule in Zürich. Sie sparen sich den 9-Uhr-Pass vom Mund ab, er kostet fast ein Viertel des Monatsgeldes. Später wird das Abo von der Gemeinde bezahlt. Zusätzlich unterrichtet sie ein pensionierter Lehrer zwei Mal in der Woche. Sie machen Fortschritte und können sich immer besser auf Deutsch verständigen. Denn Selam und Aster möchten arbeiten und Fuss fassen in der Schweiz. Schliesslich dürfen  sie als Freiwillige in einem Alterszentrum Pflegebedürftige im Rollstuhl durch einen Jahrmarkt schieben, mit ihnen Weihnachtsguetzli und Grittibänze backen. Sie lernen, dass die Augen bei Grittibänze eingedrückte Sultaninen sind und wie man den Bänzen eine Krawatte verpasst. 

Selam bekommt den eingeschriebenen Brief mit dem ablehnenden Entscheid des Staatssekretariates für Migration im November 2019 – Aster kurz vor Weihnachten. Die beiden werden diese Sätze nie vergessen: „Sie müssen die Schweiz verlassen...“, „Sie können in Haft genommen werden“, „Sie können unter Zwang zurückgeführt werden“... 

Wer kann noch helfen? Was können wir tun? Wohin sollen wir gehen? Müssen wir untertauchen?  Warum braucht die Schweizer Regierung zweieinhalb Jahre, um den negativen Entscheid zu fällen?  Von Freundinnen, die sie auf der Flucht kennen gelernt haben, und die nach Belgien und Deutschland gekommen sind, wissen Selam und Aster, dass diese längst arbeiten können und Sprachkurse besuchen. Und sie wissen, dass Isayas Afewerki, der diktatorische Präsident Eritreas, keine unter Zwang ausgeschafften Asylbewerber aufnimmt. Und sie wissen, dass sie in kein anderes europäisches Land fliehen können. Es gibt für sie weder eine Herberge in Europa – aber auch keinen Stall ...

*) Namen geändert

 

Hansjörg Herzog

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